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Freitag, 11 Mai 2018 10:00

Franz Norbert Mennemeier, Der Schatten Mishimas, Eine Spurensuche.

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Diese hier zählt zu meinen aposteriorischen Kritiken. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung eines älteren Texts. Sie wird ihrem Leser erst zum Vergleichen interessant, wenn er den Roman schon gelesen hat und sich vergewissern möchte, was ihm geschehen ist.

„Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen…“ (Ludwig II von Bayern 1)

Franz Norbert Mennemeier, Der Schatten Mishimas, Eine Spurensuche. Igel Verlag, Oldenburg, 2007

Es hat etwas Schwefliges, wenn Menschen aus dem Bewusstsein von anderen Menschen verschwinden. Es hat etwas, das schweflig haucht, während es verschwimmt, vage von einer Katastrophe, von Verbrechen und von Skandal. Das scheint so, gerade weil es nicht nur natürlich ist, sondern weil es hinzu gewollt und nützlich für Andere wirkt, dass jemand nicht mehr für sich sprechen, nicht mehr lebendig, unberechenbar, noch abweichend von sich, sich frei aussprechen kann, stattdessen absinkt hinunter in ozeanische Vergessenstiefe.

Frieden in Wasser und Schilf? Sie kommen der Welt wahrscheinlich abhanden, wenn Sie auch noch nicht mehr mit einem Ort verbunden und außerdem die Namenskartuschen ausgelöscht sind. Vielleicht erinnert noch hoch oben eine Wolke an Sie, aufgestiegen vom Ozean, mythisch hell im roten Abendschein.

Aber alles nicht sicher, verlassen Sie sich also nicht zu sehr darauf. Ironisch lauert es hinter der Besorgtheit um sich selber, in jedem braven Bürger und glimmt im Geschick des Kriminellen, der mörderisch ersticken muss, was von sich reden möchte. Kriminologen und Archäologen wissen, dass die Zeit frei wie der Wind ihren eigenen Text schreibt und sie wissen von der Revolte der Zeichen gegen das Verschwinden. Zugunruhige Zeichen und Texte finden immer ihre Leser. Zensurpranke ist ohnmächtig dagegen. Es kann nur etwas länger brauchen, auch weil Wahrheiten immer neu und anders sich herschreiben.

❊ Blühender Abgrund ❊ Es zählt zu den unvermutet produktiven Seiten des Tods, der bekanntlich alles Vermittelnde jäh abbricht, dass er Geschichten entbindet durch Lücken. In seinem Roman fasst F. N. Mennemeier solche Entladungen.

Locke vom Kopf, Detail von einem, vormals unzweifelhaft zugehörig und bisweilen prominent parfumiert oder Empedokles Sandale mit dem Abdruck eines ganzen Lebendgewichts eingeprägt, doch ohne ihren Besitzer vom Ätna wieder ausgespien, rauschen ins klaffend Ungewisse.

Um wieviel mehr senkte der Tod die komplexere Wirklichkeit hinterlassener Bücher gar eines ruhmreichen, ehrvoll sich selbst entleibenden, japanischen Autors ins Off? Die Bücher dämmern in Räumen vor sich hin, in denen Staubflocken tanzen, aus denen ihre nun erneut fiktiven Leser längst für immer entflogen sind. Der Autor Mennemeier pulverisiert die Indizienbeweise, worauf sie in alle Winde verwehen.

Dennoch geschieht ein kleines didaktisches Wunder. Die Texte lesend können seine Schüler ihren Lehrer entdecken. Er ist als Agens bei ihnen.

❊ Schemen und Formen ❊ Dass er Geschichten entbinde, heißt es vom Tod. Selber ermangelt er zwar des Gesichts, wenn er eintritt, das hindert ihn aber nicht, Gesichtern zu einer niegekannten Vollständigkeit aller Züge zu verhelfen. Im Chor seiner Figuren scheint der Autor Mennemeier vom Tod angetan und etwas trunken.Doch sollte einen nicht das Leben in der Literatur ergreifen und zwar mit Vorliebe bei unpassenden Gelegenheiten?

❊ Der ironische Witz ❊ Polizeiliche Recherchen einbettend, spielt er mit dem populären Clichée, nur veritable Königsmörder oder finstere Schicksalsboten, die hervorkröchen aus nächtlichem Schlund, möchten die Gipfellichter des öffentlichen Lebens beseitigen, kein gewöhnlicher Schlagetot könnte es. So steht Mennemeier nicht an, seinen Protagonisten, Professor Leonard Fichte, den er vermutlich vom Liebestod untermalt ins Wasser führt, in zweiter Ehe mit dem Todesengel, der Maske, zu verheiraten! Rhein, der große, kalte Strom reisst auch den sterbensmüden Ãsthetizismus auf nimmer Wiedersehen fort.

Merke Leser, die Zeiten haben sich gewandelt, der Todesengel wird nicht mehr einen bildhaften Abstand wahrend, keusch und enthemmt, ebenso hemmungslos wie diszipliniert angeschmachtet, er wird amtlich sozusagen beglaubigt. Dialektisches Verfahren schwingt durch den Text, erzähltechnisch in schöner Blüte.

Der aktuelleTodesengel wirkt auch robuster, obgleich sein biologisches Geschlecht engeltypisch noch immer ein wenig undeutlich bleibt. „Er“ ist namenlos. Daneben heißt ein wackerer, lehrender und gelehrter Freund Fichtes nicht etwa Serenus Zeitblom, sondern banaler Wolfgang Stierle. Außer den Spekulationen von Stierle ist lehrkörperlicher Reflex auf den rauhen Schrei des Vogels Jugend zu beobachten, des einzigen Vogels, der unbesorgt ob seiner Flugfähigkeit sich anfassen lässt: Mennemeier enthebt dabei alle Figuren auch Fichtes Studiosi ihrer eigenen Redeweise, wie es scheint, um den einheitlichen, elaborierten Stil des Romans zu schonen.

Nicht lieben zu dürfen für 24 schöpferische Jahre wie vormals der Komponist Adrian Leverkühn, hätte Leonard Fichte zu Lebzeiten wohl als Zumutung von sich gewiesen, wenngleich bei dessen Spiel mit unzähligen Frauen, deren einzelne Züge zum zarten Tränenschleier verschmelzen, des überraschten Lesers lautes Lachen schon im Hals steckenbleiben will.

Hat den deutschen Professor am Ende vielleicht der Teufel geholt? (AR)

1 vgl. Zitate, Rätsel unter https://de.wikiquote.org/wiki/Rätsel, ( abgerufen am 1. 5. 2018), Brief an die Schauspielerin Marie Dahn-Hausmann vom 25. April 1876.

Letzte Änderung am Montag, 21 Mai 2018 12:41
Locomoto

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